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      11.5.2008  
         
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        Stadtwüstung Nienover

Während viele zehntausend verlassene mittelalterliche ländliche Siedlungen und Höfe in weiten Regionen Europas radikale Veränderungen in der Raumstruktur manifestieren (z.B. Wüstung Winnefeld), gibt es nur relativ wenige verlassene Städte dieser Zeit. Noch weniger sind erforscht, obgleich quasi eingefrorene Beispiele aus der für Jahrhunderte prägenden und den Stadtgrundriß bis heute bestimmenden Frühzeit des Städtewesens für die Grundlagenforschung unverzichtbar sind. Man muß sich dabei klar machen, daß unsere historischen Altstädte komplexe Gebilde sind, deren heutiges Erscheinungsbild nicht die "mittelalterliche Stadt" darstellt, die mancher Führer suggeriert, sondern Ergebnis jahrhundertelanger Veränderungen.
In Nienover konnte seit 1993 das ca. 300 mal 500 m große Gelände der völlig vergessenen mittelalterlichen Stadt wissenschaftlich erkundet und seit 1996 durch planmäßige archäologische Ausgrabung erforscht werden.

Freie Rekonstruktion von Burg und Stadtwüstung Nienover um 1200 mit grobem Verlauf der Straßen. Aus darstellungstechnischen Gründen reduzierte Zahl von Häusern und Straßen, jedoch mit Eintragung der bis Sommer 2000 greifbaren Hauptelemente. Kaufhaus/Rathaus frei interpoliert, Lage der Kirche nach vorliegenden Indizien ungesichert, Baugestalt orientiert an der benachbarten romanischen Dorfkirche der Zeit um 1200 in der Dorfwüstung Winnefeld (Entwurf und Ausrüstung Thomas Küntzel M.A.)
 

Aus bescheidenen Anfängen hat sich ein interdisziplinäres Forschungsprojekt entwickelt, das seit 1999 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und zu den wenigen langfristigen universitären Plangrabung in Europa gehört.

Nienover, verkleinerter Ausschnitt aus der Deutschen Grundkarte 1:5000. Im Osten das Schloss, im Tal Gebäude des ehemaligen unteren Vorwerkes (1), der barockzeitliche Schafstall (2), die Mühle (3), sowie das Gestüt (4) am Nordosthang. Im westlichen Vorgelände des Schlosses auf dem Plateau, weitgehend etwa im Verlauf der 200 m -Höhenlinie, die ungefähre Außenbegrenzung der Stadtbefestigung (5); 6 Lage des ehemaligen oberen Vorwerks; 7 Lage des Wallschnitts von 1997


In ersten Umrissen zeichnet sich das Bild einer typischen kleineren Stadt des 13. Jahrhunderts ab. Die Gesamtfläche mit Burg und Befestigung betrug etwa 10 ha, die Innenfläche ca. 7 ha. Eine stattliche doppelte Wall-Graben-Befestigung von bis zu 40 m Breite und einen Höhenunterschied von max. ca. 10 m ohne die anzunehmende Palisade schützte die Stadt. Gut erkennbar ist die etwa 10 m breite von Westen nach Osten durch die Stadt verlaufende Hauptstraße, zu der im Süden und Norden je eine Straße annähernd im leichten Bogen auf die Tore zuführte. Für diese sind Pflaster gesichert, während die Hauptstraße infolge von Bodenerosion und späterer Nutzung nur mit Fahrspuren und als Hohlweg faßbar ist. Nur indirekt anhand der Bebauung ist eine Nord-Südstraße zu erschließen. Besonders an der Hauptstraße ist eine dichte geregelte Bebauung vor allem anhand von Kellern erfaßbar. Sie zeigt vom Zentrum auf der Höhe des Plateaus und in der Nähe der Burg ausgehend anhand der Größe der Bauten eine geradezu ideal-typische Hierarchie. Die Dimensionen und die Bauweise (massiv in Bruchstein, leichte Bruchsteinmauern, kombinierte Holz- und Steinfundamente, Holzbauweise) nehmen zum Westtor hin kontinuierlich ab; Außerdem sind die Keller auf der Südseite der Straße deutlich stattlicher als auf der Nordseite. Zudem zeichnet sich ab, daß nach der ersten kriegerischen Zerstörung um 1210/20 bereits größere Teile der Stadt veröden oder auch dort keine aufwendigen Keller mehr errichtet werden, so auch im weniger zentral gelegenen Nordwestteil der Hauptstraße. Die Rekonstruktion der Häuser ist erhaltungsbedingt schwierig, da es sich überwiegend um Fachwerkgebäude auf Schwellen handelte. Nur bei Nebenbauten kommen häufiger in die Erde eingetiefte Pfosten vor. Die größeren Keller lagen zumeist wohl im rückwärtigen Teil der Häuser, darüber lag ein abgeteilter Wohnraum. Vereinzelt könnten Steinwerke vorhanden gewesen sein, die Regel waren kombinierte Holz-Stein-Bauweisen. Die kleineren Keller lagen z.T. mitten im Haus, das in der Regel einräumig gewesen sein wird und über eine offene Feuerstelle verfügte. Die Bauten können ein- und mehrstöckig gewesen sein. Vor allem bei den größeren Häusern lag wohl eine seitliche Einfahrt zum Hof neben dem Haupthaus; In der Zeit um 1200 wird man mit etwa 100-150 bebauten Parzellen rechnen können, also mit etwa 400-800 Einwohnern. Zur Zeit der zweiten Zerstörung wird es vielleicht weniger als die Hälfte gewesen sein. Das wird durch den drastischen Bedeutungsverlust der Grafen in der Zwischenzeit und die Gründung zahlreicher Städte und Märkte durch konkurrierende Märkte bedingt sein.

Die Pfarrei ist 1231 belegt, ein Pfarrer um 1290. Als dieser 1327 weggezogen war, und die civitas 1318/20 erst- und letztmalig genannt wird, stand in der Stadt nach unserem Forschungen kaum mehr ein Haus. Die Kirche ist noch nicht gefunden.

Reiche Funde künden vom täglichen Leben der Einwohner. Als Handwerke sind vor allem metallverarbeitende Gewerbe wie Eisenverhüttung und -verarbeitung, Buntmetallguß und Bearbeitung, Goldschmiedehandwerk greifbar, die z.T. auf regionalen Bodenschätzen beruhen. Andere Einkunftsquellen wie Textilverarbeitung und Handel sind schwer zu erfassen. Münzfunde lassen eine starke Ausrichtung des Handels nach Westen erahnen. Indizien für eine direkte oder indirekte Beteiligung am Handel mit England (handwerkliche Produkte + Getreide gegen englische Tuche) lassen die Münzfunde erkennen.

   
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