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Keramik aus Nienover und die
mittelalterliche Töpferei im Solling und Reinhardswald
Nienover,
kleiner gehenkelter Kugeltopf (Kugelbecher), hellscherbige graue
Irdenware, mutmaßliches Bauopfer - um 1200
Die reichen Keramikfunde
sind das wichtigste Medium zur zeitlichen Einordnung der vielen kleinen
und großen Befunde, der stummen Geschichtszeugnisse. Sie ermöglichen
letztlich die Einordnung in historischen Zusammenhängen. Darüber hinaus
sind sie wichtige Quellen der Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte.
Sie sind wie kein anderes Fundgut Geschichte zum Anfassen, denn sie war in
allen sozialen Kreisen verbreitet, sie übertreffen alle anderen
Objektgruppen weit an Zahl, und häufig auch an Aussagekraft.
Keramik war um 1200 bereits ein handwerkliches Erzeugnis, das eingekauft
werden mußte. In Nienover ist keine heimische Erzeugung nachweisbar, wohl
aber z.B. in Boffzen bei Höxter oder Kugenhusen bei Einbeck. Die Masse der
Keramik kauften die Bewohner nach der Analyse der Technologie der Scherben
und der formalen Ausprägung jedoch von den etwa 15-20 km (eine halbe bzw.
knappe Tagesreise) entfernten wichtigsten Töpfereizentren der engeren
Region um Gottsbüren im Reinhardswald und Fredelsloh im Solling. Dort
wurde seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in zahlreichen
Töpfereien einfache und aufwendige Gebrauchskeramik von hoher Qualität
hergestellt, die bald einen weiträumigen Absatz fand, der ab etwa 1250
auch den Nord- und Ostseeküstenraum erreichte. Auffallenderweise gehörten
beide mehrere Orte umfassenden Töpferzentren zum engeren Herrschaftsgebiet
der Grafen von Dassel. Von daher scheint es sehr naheliegend, daß die
Erschließung wertvoller Tonlager und die erstmalige Ansiedlung von
größeren Töpferkolonien mit weiträumigen Absatzgebiet zu den
Wirtschaftsförderungsmaßnahmen der auf die Verbesserung ihrer Einkünfte
bedachten Grafen gehörte.
Übersichtskarte zu
mittelalterlichen Töpfereien im Weser- und Leinebergland
Nienover, Rekonstruktion
eines Kugelbauchkruges mit Vertikalstempeldekor, sehr harte graue
Irdenware, wohl Erzeugnis aus Neuenheerse oder der Reinhardswaldtöpfereien
- um 1220-1270
Zur optimalen Abdichtung
ohne Glasur ist die Koch- und Vorratskeramik in der Regel reduzierend (bei Luftabschluß in der letzten Brennphase) gebrannt und an der Oberfläche
grau. Im 12. bis 13. Jahrhundert sind die wenigen Tafelgeschirre
(Kugelbecher, Kannen, Krüge) zum Teil oxidierend gebrannt, im Scherben
gelblich und vereinzelt rot bemalt bzw. mit Fingereindruck und
Rollstempeldekoren versehen. Es dominiert der als Universalgefäß
anzusprechende unverzierte Kugeltopf. Vereinzelt kommt in Miniatur- und
Kleinformen importierte und regionale bleiglasierte Irdenware vor.
Nienover,
Kleingefäß, harte gelbe Irdenware mit Rollstempeldekor - Ende 12. bis
Mitte 13. Jh.
Nienover, Rassel, feine weiche gelbe Irdenware mit grünlicher Bleiglasur -
Ende 12. bis Mitte 13. Jh.
Nienover, konischer
Becher mit Grat- und Rollstempeldekor, klingen harte graue Irdenware, wohl
Erzeugnis aus dem Reinhardswald - um 1250
Nienover,
Dornenrandkrug, im Scherben graues rot engobiertes Proto- bis
Faststeinzeug, wohl Erzeugnis aus dem Reinhardswald - um 1250
Bald nach 1200 machen sich
zunehmend Innovationen bemerkbar. Der Ton wird tendenziell besser
aufbereitet, feiner gemagert und härter gebrannt, Weniger leistungsfähige
Betriebe an schlechteren Tonlagern wie denen bei Einbeck oder Höxter
müssen schliessen oder ihre Werkstatt in die aufstrebenden Zentren
verlegen. Um 1220/30 macht sich in den Töpfereien des Reinhardswaldes
sowie des Solling, die sich damit als eng verknüpft erweisen, und
gegenüber allen anderen Zentren Hessens und Niedersachsens deutlich
abheben, eine starke Verzierungsfreude bemerkbar. Vergleichbar, aber doch
etwas anders geprägt ist lediglich das auch räumlich nicht allzuweit
entfernte Töpferzentrum Neuenherse zwischen Höxter und Paderborn.
Während kurzer und vor allem kurz nach 1200 bereits mit dem Finger
ausgeführte Dellendekore auf der Schulter bei Tafelgeschirr üblich waren,
treten ab etwa 1220 in verschwenderischer Fülle angebrachte Riefen-,
Rillen-, Leisten- und vor allem Rollstempeldekore auf. Sie sind
funktionsbedingt auf nun fast immer mit Standring oder Wellenboden
versehenes Tafelgeschirr beschränkt, wozu auch Exemplare der neuen Form
zumeist klein- bis mittelformatiger Dreibeintöpfe gehörten. Typisch für
den Reinhardswald sind handlich konische, reich verzierte Becher aus
feiner harter Irdenware. Die Dekorwut erfaßt allerdings nur die nunmehr
regelhaft auftretenden Schulterriefen, auch an Kugeltöpfen und alle
weiteren Formen des Koch- und Vorratsgeschirrs. Becher, Krüge und Kannen
sind in Größe, Form und Verzierung um 1250 so reich verziert wie nie zuvor
oder nachher im Mittelalter. Die nach wie vor seltene Bleiglasur tritt
gegenüber dem in dieser Zeit erstmals in den regionalen Töpfereien
produzierten Faststeinzeug ganz zurück - Letzteres, die technischen und
qualitativ beste Keramik, die das abendländische Mittelalter als
Massenerzeugnis hervorbrachte, eroberte sich rasch einen bedeutenden Platz
auf dem einheimischen, regionalen und überregionalen Markt. Steinzeugs
wurde damals allein in Ostasien und Deutschland hergestellt. Es war ohne
Glasur (fast) wasserdicht, dennoch erzeugte man gern Gefäße mit infolge
von Sinterengoben oder Aschenanflug, später mit Salzglasur verschönerten
und versiegelten glänzenden Oberflächen - Regional- und Zeittypische
Tafelgefäße sind Dornrandkrüge, Vierpaßbecher und bauchige Tüllenkannen
mit roter, seltener bräunlicher Engobe.
Seltener kommen Importe rheinischer Faststeinzeuggefäße aus Siegburg bei
Bonn vor. Daß einzelne weitere Importe oder mitgebrachte Gefäße anderer
Herkunft vorliegen ist anhand der makroskopischen Ansprache
wahrscheinlich, aber ohne aufwendige naturwissenschaftliche Analysen
schwer zu erklären.
Nienover, bauchiger
Steilrandkrug, rot engobiertes Faststeinzeug aus den Sollingtöpfereien im
Raum Fredelsloh - um 1270
Nienover, bauchiger
Becher mit Steilrand, Siegburger gemagertes Steinzeug - um 1250/70
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